Kaum ein anderes Thema bewegt die Menschen so stark wie die Ernährung. Am 7. März diskutierten Stephan Becker-Sonnenschein, Geschäftsführer des Vereins Die Lebensmittelwirtschaft e.V. und Renate Künast MdB – Bündnis 90 / Die Grünen, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz und ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft beim Berliner Pub Talk über Lebensmittel. Partner der Veranstaltung, die im Wahlkreis@Einstein stattfand, war der Verein für überparteiliche Verständigung „Wahlkreis“. Moderiert hat Manuela Stamm.
Transparenz, aber wie denn?
Umweltpolitik mit Messer und Gabel? Das geht, Künast appellierte an die Verbraucher, ihre Macht zu nutzen. Dafür sei es erforderlich, dass Inhaltsstoffe und Produktionsmethoden auf den Lebensmitteln transparent seien. Bislang sei das nicht der Fall. So würde die Lebensmittelwirtschaft zwar für Frühstückscerealien werben. Diese bestünden jedoch zu einem großen Anteil nicht aus Cerealien sondern aus Zucker. Eine Lebensmittelampel wäre immer noch die beste Lösung. Sie sende ein deutliches Signal an die Verbraucher, sich nicht zu stark von Lebensmitteln mit einer roten Markierung zu ernähren. Hilfreich wären auch bessere Label, die für Verbraucher richtige Nachrichten parat haben, zum Beispiel glyphosatfrei. Das sei bei der Tierwohlinitiative nicht der Fall. Diese ziele nur auf geringfügig bessere Standards ab. Wenn Lebensmittelanbieter mit Bio werben, dürfe dahinter keine konventionelle Produktion stehen. Das sei sonst strafbar.
Transparenz sei in Deutschland bereits ziemlich vollständig gegeben, erklärte Becker-Sonnenschein. Die Informationen zu Lebensmitteln lägen vollständig vor, im Internet aber auch an der Einkaufsstelle. Verbraucher würden viele Lebensmittel regelmäßig erwerben. Sie informieren sich verstärkt vor dem ersten Einkauf. Darum sei es nicht sinnvoll, die Einkaufsstelle und die Verpackungen mit noch mehr Informationen zu überfrachten. Verbraucher seien sehr gut in der Lage, die für sie besten Entscheidungen zu treffen. Eine Lebensmittelampel würde die falschen Signale setzen. Ein Lebensmittel sei nicht grundsätzlich ungeeignet. Es komme immer auf die persönlichen Anforderungen des Verbrauchers an.
Lebensmittel Zucker?
Das werde besonders bei der Debatte um Zucker deutlich, so Becker-Sonnenschein. Zucker sei der wichtigste Energielieferant und damit unerlässlich. Das gelte zum Beispiel für Sport. Ohne Zucker sei das menschliche Gehirn nicht funktionsfähig. Darum sei es falsch, Zucker grundlegend zu verteufeln. Künast antwortete, dass das Problem der zugesetzte Zucker in Lebensmitteln sei. Es gebe ein breites Spektrum an Zucker- und Sirupzusätzen in Lebensmitteln. Das sei für Verbraucher schwer zu durchschauen. Obst und Gemüse mit einem natürlichen Zuckeranteil könne der menschliche Körper viel besser verarbeiten.
Chemiecocktail oder natürliche Aromen?
Wenn ein Vanillejogurt keine natürliche Vanille enthält und ein Erdbeerjogurt nur eine halbe Erdbeere sorge am Ende nur ein „Chemiecocktail“ für den Geschmack, kritisierte eine Teilnehmerin. Becker-Sonnenschein antwortete, dass es nicht um einen Chemiecocktail sondern um natürliche Aromen handele. Die Verbraucher fragen diese Produkte nach, die nicht schlechter oder ungesünder seien, als ein Jogurt mit natürlicher Vanille. Künast kritisierte, dass die Bezeichnung „natürliche Aromen“ für Aromen aus Holz zulässig ist. Da hätte die Branche eine gute Lobbyarbeit gemacht.
Glyphosat
Vor dem Hintergrund der erneuten Zulassung in Europa hat die öffentliche Debatte über Glyphosat Fahrt aufgenommen. Jüngst wurde in einer Untersuchung bei vielen Biersorten Glyphosat nachgewiesen. Allerdings war der Anteil so gering, dass ein Verbraucher 1.000 Liter Bier am Tag trinken müsste, um den Grenzwert zu erreichen. Becker-Sonnenschein wies darauf hin, dass die Analysemethoden so gut geworden sind, dass selbst ein Zuckerwürfel im Bodensee nachgewiesen werden kann. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln hätte deutlich abgenommen. Künast entgegnete, dass bei Krankheiten oft keine kausale Ursache nachgewiesen werden könne. Niemand wisse genau, wie verschiedene Stoffe, die sich in der Umwelt und in Menschen ablagern, miteinander agieren. Darum seien niedrigere Grenzwerte sinnvoll.
Welche Landwirtschaft wollen wir?
Im Welternährungsbericht werde verdeutlicht, dass mit einer ökologischen, bäuerlichen Landwirtschaft die weltweiten Ernährungsprobleme gelöst werden könnten, erklärte Künast. Zurzeit sei die Landwirtschaft in vielen Ländern nicht nachhaltig. Düngemittel werden mit einem hohen Energieraufwand hergestellt. Pflanzenschutzmittel bleiben in der Nahrungskette. Becker-Sonnenschein teilte diese Position nicht. Um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, brauche es eine innovative Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft. In Ländern wie Indien verdirbt 60 Prozent der Ernte. Hierfür müsse dringend eine Lösung gefunden werden, um Hunger zu vermeiden. Das sei nur ein Beispiel.
Ernährung geändert?
Die Beschäftigung mit Ernährung ist für Künast und Becker-Sonnenschein nicht folgenlos geblieben. Künast erklärte, dass sie mittlerweile viel einfacher auf ungesunde Snacks für zwischendurch verzichten könne. Auch bei Produkten mit zugesetztem Zucker sei sie sehr zurückhaltend. Sie schätze aber auch weiterhin gutes Essen und ein gutes Glas Wein. Becker-Sonnenschein hob die interessante Seite der Beschäftigung mit Lebensmitteln hervor. Er hätte in den letzten Jahren ganz viele neue Lebensmittel und Geschmacksvariationen kennengelernt.
Matthias Bannas und Manuela Stamm
Auch die Lebensmittelwirtschaft hat einen Bericht zur Veranstaltung veröffentlicht. Ihr findet ihn hier.
Impressionen der Veranstaltung – Fotos von Andrea Tschammer