Soziale Medien und Informationsangebote im Internet werden von vielen Bürgern als Ort für politische Debatten genutzt. Um eine demokratische Streitkultur zu fördern, stellt sich die Frage, wie Nutzer und Institutionen mit strafbaren, rassistischen und herabwürdigenden Kommentaren – sog. „Hatespeech“ – umgehen sollten. Darüber diskutierten Andrea Dernbach, Politische Reporterin beim Tagesspiegel mit der Social-Media-Expertin Christiane Germann und Jan Mönikes, dem Justiziar des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher, beim Berliner Pub Talk „Was tun gegen Hatespeech?“ am 18. Oktober. Moderiert hat Irene Waltz-Oppertshäuser.
Hatespeech, richtiger Begriff?
Es wäre nicht verwunderlich, wenn der Duden den Begriff Hatespeech in seiner nächsten Ausgabe berücksichtigen würde. Dabei ist er alles andere als eindeutig. Über die strafbare Verwendung von Sprache entscheiden die Richter. Das kann auf zivilrechtlicher Grundlage sein, wenn sich jemand persönlich beleidigt oder bedroht fühlt und dagegen klagt. Bei schwerwiegenderen Rechtsverletzungen – wie zum Beispiel Volksverhetzung – greift das Strafrecht. „Wir sollten besser zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Äußerungen unterscheiden“, erklärte Mönikes. Äußerungen, die den Regeln der Gesellschaft widersprechen, müssen noch nicht strafbar sein. Ein Beispiel dafür sei die Verwendung des Wortes „Neger“. Es sei gesellschaftlicher Konsens, dieses Wort nicht mehr zu verwenden. Rechtswidrig oder gar strafbar sei der Gebrauch aber nur, wenn es etwa in beleidigender oder volksverhetzender Weise benutzt werde. Eine Ausweitung über Begriffe wie „Hatespeech“ oder „Hatecrime“ wäre für das deutsche Rechtssystem überhaupt nicht erforderlich. Straftaten wegen einer „niederen Gesinnung“ des Sprechers seien dagegen abzulehnen. Vielmehr müsse sich eine Gesellschaft kommunikativ damit auseinandersetzen, anstatt problematische Äußerungsverbote zu konstruieren.
Position beziehen und mitdiskutieren
Wer privat von Hatespeech betroffen ist, hat die Möglichkeit, die Absender zu blocken. Bei Profilen von Unternehmen und Behörden ist das nicht ganz so einfach. Den meisten Spielraum haben die Seitenbetreiber. Insbesondere Behörden und Medienhäuser müssten ihre Social-Media-Abteilungen ausreichend besetzen. Während in der Vergangenheit häufig „don´t feed the troll“ als geeignete Maßnahme galt, vertritt Germann die Auffassung, dass es viel besser ist, angemessen zu reagieren. Dabei steht das Recht auf freie Meinungsäußerung an erster Stelle. Alles was nicht strafbar oder beleidigend ist, sollte auch nicht gelöscht werden. Auf Falschmeldungen kann mit offiziellen Richtigstellungen reagiert werden. Im Einzelfall und wenn es passt, funktioniert auch Humor sehr gut. Wichtig ist zu verstehen, dass es nicht darum geht, die Personen partout zu überzeugen, die zweifelhafte Kommentare schreiben. Entscheidend sind die vielen hundert passiven Mit-Leser der Kommentare auf wichtigen Websites und Social-Media-Accounts. Auch die Medien müssten dieser Verantwortung gerecht werden.
Andrea Dernbach schilderte ihre Erfahrungen beim Tagesspiegel. Beim Tagesspiegel werden auch möglichst viele Kommentare stehen gelassen. Es werde Wert darauf gelegt, dass die Journalisten auch in den Foren zu ihren Artikeln mitdiskutieren. Sie frage sich aber oft, was das bringt, weil wirklich gute Diskussionen nur sehr selten zustande kommen. Oft hätte sie das Gefühl, dass das Sagbarkeitsfeld erweitert werde. Was bis vor kurzem nicht öffentlich ausgesprochen wurde (Rassismus, usw.), erreiche sie nun auch regelmäßig in Leserbriefen, in der Regel von Mitgliedern der Mittelschicht. Grundsätzlich diskutiere sie viel lieber von Angesicht zu Angesicht mit den Lesern. Mönikes appellierte an die Verantwortung des Einzelnen. Demokratie ist anstrengend. Es ist wichtig, sich Debatten und Auseinandersetzungen zu stellen, auch im Internet.
Strafverfolgung
Einige Kommentare sind – zumindest auf den ersten Blick – zweifelsfrei strafbar. Hier sei es wichtig, die Kommentare am besten als PDF mit Zeitstempel und Quellenangaben zu dokumentieren und im Anschluss bei der Polizei anzuzeigen, erklärte Germann. Auf die Möglichkeiten habe auch das BKA hingewiesen, indem im Rahmen einer bundesweiten Razzia mehrere Wohnungen von Beschuldigten durchsucht worden sind. Das Bundesinnenministerium habe zu dem Thema zuständige Polizisten interviewt, um auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinzuweisen. Wichtig sei, dass die Plattformen bei Anzeigen die Daten der Beschuldigten herausgeben.
… und die Plattformen?
Plattformen sind gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bereit, Daten von Tätern herauszugeben. Das gilt nicht gegenüber den betroffenen Personen. Diese bekommen häufig den Hinweis, dass gemeldete Bedrohungen nicht den Standards der jeweiligen Plattform widersprechen. Dernbach wies darauf hin, dass bei Facebook dagegen Brustwarzen zensiert, rassistische Hetze aber nicht entfernt werde.
Ute Burbach-Tasso (Diakonie Deutschland) kritisierte den Umgang von Facebook mit Bildern. Ein Kampagnenmotiv, das eine Geburt zeigt, wurde mehrfach von Facebook zurückgewiesen. Mönikes antwortete, dass auch in Deutschland die Darstellung der Nacktheit von unter-18-Jährigen in der Werbung strafbar sein kann. Bundesjustizminister Maas habe ein entsprechendes Gesetz als Reaktion auf den Fall Edathy auf den Weg gebracht.
Von den international agierenden Plattformbetreibern zu verlangen, dass sie Inhalte nach nationalen Maßstäben mit weltweiter Wirkung zensieren, bringe einiges an Problemen mit sich, so Mönikes. Da die Normen in den einzelnen Ländern ganz unterschiedlich seien, könne man sich dann letztlich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Was an Darstellungen verboten oder erlaubt ist, ist von Land zu Land unterschiedlich. Im Iran brauche es zum Beispiel kein Pornografieverbot, weil bereits Abbildungen unverschleierter Frauen verboten seien. Kaum vorstellbar, wenn eine solche Norm auch bei uns gelten sollte, wenn Facebook zur Löschung gezwungen wäre.
Freies offenes Internet
Wenn es um die Regulierung des Internets geht, werden infolge aufgeregter öffentlicher Debatten leider viele nicht sinnvolle Vorschläge von Politikern aufgegriffen, so Mönikes. Auch einige Bundestagsabgeordnete würden, wenn sich nationales Recht nicht global durchsetzen lässt, ernsthaft fordern, dass Internet dann besser ganz abzuschalten. Aktuell sei aus seiner Sicht das größte Risiko der Diskussion um „Hatespeech“, dass sich einige Plattformbetreiber mit der Politik auf die Bereitstellung von „cleanen“ Internetangeboten einigen könnten, verbunden mit einer Privilegierung gegenüber den Netzangeboten, die außerhalb dieser Plattform existieren. Das wäre der Anfang vom Ende eines freien, offenen Internets.
Was jetzt?
Trotz aller Kritik waren sich die Podiumsteilnehmer einig, dass das Internet eine großartige Sache ist. „Das Internet wird nur von einigen Wenigen getrollt. Es entsteht insbesondere in den Kommentarspalten eine gefühlte Mehrheit von Leuten, die überhaupt nicht in der Mehrheit sind. Das springt auch auf das normale Leben über“, davor warnte Hans Hirsch. Björn Schramm forderte eine bessere Debattenkultur um die Demokratie in Deutschland zu stärken. Germann, Mönikes und Dernbach waren sich einig, dass es an jedem Einzelnen liegt, sich in die öffentlichen politischen Debatten einzumischen, auch wenn es manchmal frustrierend ist.
Impressionen der Veranstaltung / alle Fotos von Andrea Tschammer