Christine Braunert-Rümenapf, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Lars Düsterhöft MdA, SPD-Abgeordneter und Sprecher seiner Fraktion für Arbeit sowie Sprecher für Menschen mit Behinderungen, Moderator Marius Sypior.

„Die inklusive Gesellschaft ist die Leitidee der Politik der Koalition.“ So steht es im Koalitionsvertrag des amtierenden Berliner Senats. Aber was wurde bereits erreicht und was ist noch zu tun? Darüber diskutierte Christine Braunert-Rümenapf, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, mit Lars Düsterhöft MdA, SPD-Abgeordneter und Sprecher seiner Fraktion für Arbeit sowie Sprecher für Menschen mit Behinderungen, beim Berliner Pub Talk am 23. November. Moderiert hat Marius Sypior.

Impression der Veranstaltung

Behinderte Menschen in der Öffentlichkeit

Wie werden Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit behandelt? Nicht immer freundlich, höflich und verständnisvoll, wurde kritisiert. Die Ursache dafür könnte sein, dass Menschen an ihre eigene potenzielle Schwäche erinnert werden. Vielleicht spielen auch Ängste und Unwissenheit eine Rolle. Eine Lösung wäre ein besseres Kennenlernen. „Man kann mit uns viel Spaß haben“, machte einer der behinderten Teilnehmer in diesem Sinne deutlich.

Inklusion als Querschnittsthema

Für mehr Verständnis in der Gesellschaft müsse Inklusion stärker als Querschnittsthema behandelt werden, forderte Braunert-Rümenapf. Das bedeutet, dass Behindertenpolitik nicht länger nur von der Sozialsenatorin gemacht wird, sondern in allen Politikbereichen verankert ist. Alternativ könne das Thema zur Chefsache gemacht werden, regte eine Teilnehmerin an. Damit hätte der Regierende Bürgermeister die Zuständigkeit. Braunert-Rümenapf ergänzte, dass die Beteiligungsstrukturen in Beiräten – zum Beispiel bei der Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen – überprüft werden müssen. Damit könne Inklusion besser in der Gesellschaft verankert werden. Düsterhöft wies darauf hin, dass die Verwaltung bereits heute inklusiver denkt. Auch hier ist aber immer noch Spielraum für Verbesserungen.

Barrierefreiheit

Wenn über Inklusion diskutiert wird, spielt das Thema Barrierefreiheit eine wichtige Rolle. Viele wissen aber überhaupt nicht, was sich hinter dem Begriff verbirgt. Das deutsche Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) definiert die Barrierefreiheit in § 4: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“

Gerlinde Bendzuck (Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin) forderte mehr Drive, um auch Private zum Handeln zu verpflichten. Das gelte zum Beispiel für Arztpraxen. Diese sind meistens nicht barrierefrei. Düsterhöft wies darauf hin, dass bereits 60 Prozent aller Wahllokale in Berlin barrierefrei sind. Das sei nicht ausreichend. In Zukunft müssen alle Wahllokale barrierefrei sein. Vorangekommen sei der Senat auch bei den Inklusionstaxen. Probleme bereiten die öffentlichen Ausschreibungen neuer City-Toiletten und S-Bahn-Züge für die Stadt. Das kritisierte auch Braunert-Rümenapf. Zudem seien von 8.000 Berliner Taxen nur 8 barrierefrei. Besser wäre es, wenn nur neue Taxen zugelassen würden, die barrierefrei sind. Bei der Bestellung neuer S-Bahnen ist noch dringender Handlungsbedarf. Die Kulturförderung sollte mit der Voraussetzung Barrierefreiheit vorknüpft werden.

Arbeitsmarkt

Menschen mit Behinderungen haben bei einer Aus- oder Weiterbildung Anspruch auf Unterstützung. Es ist aber oft unklar, wer für die Unterstützung zuständig ist. Das können entweder die Bundesagentur für Arbeit, die Jobcenter oder die  Rentenversicherungsträger sein. Ein Teilnehmer kritisierte, dass die Prüfung und Begutachtung der Betroffenen zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Das mache es Arbeitgebern schwer, die Menschen mit Behinderungen eine Chance geben möchten. Ulrike Pohl (Der Paritätische Berlin) kritisierte, dass Jugendliche mit Behinderungen keinen Zugang zu den Jugendberufsagenturen haben, wenn sie zusätzlicher Hilfen bedürfen. Inklusion dürfe nicht mit der Schule enden, so Pohl. Braunert-Rümenapf ergänzte, dass sich das System selber ad absurdum führt, wenn nur nach Kennzahlen und schnellen Vermittlungsquoten gearbeitet wird. Grundsätzlich wäre es viel sinnvoller, bei Beurteilungen herauszuarbeiten, was Menschen können anstatt was sie nicht können.

Fazit

„Wir wollen besser sein als die anderen, es kommt aber auf die Umsetzung an“, so brachte Düsterhöft das Engagement der rotrotgrünen Koalition auf den Punkt. Er appellierte an die Betroffenen, die Politik mit konkreten Vorschlägen und Infos zu versorgen. Darauf sei er für seine Arbeit angewiesen. Dazu müssten sowohl die Kommunikationswege als auch die Büros der Abgeordneten barrierefreier werden, ergänzte Pohl. Braunert-Rümenapf machte deutlich, dass es ihre Aufgabe sei, aufzupassen, ob der Berliner Senat seiner Verpflichtung zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung nachkomme.

Matthias Bannas und Marius Sypior

Impressionen der Veranstaltung / alle Fotos von Andrea Tschammer