Mit den massiven Übergriffen auf Frauen in Köln zum Jahresanfang und der Gerichtsverhandlung zum Fall Gina Lisa Lohfink hat der öffentliche Druck auf die Bundesregierung zugenommen, das Sexualstrafrecht zu reformieren. Am 28. Juni diskutierten Elvis Jochmann, Strafverteidiger und Anwalt für Strafrecht, mit Jost Müller-Neuhof, rechtspolitischer Korrespondent beim Tagesspiegel und Halina Wawzyniak MdB, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, über das Thema beim Berliner Pub Talk. Die Veranstaltung wurde von Manuela Stamm moderiert.

Von links. Christopher Hauss, Halina Wawzyniak, Manuela Stamm, Jost müller-Neuhof und Elvis Jochmann.

Von links. Christopher Hauss, Halina Wawzyniak, Manuela Stamm, Jost Müller-Neuhof und Elvis Jochmann.

Brauchen wir ein neues Gesetz?

Ob ein neues Sexualstrafrecht – so wie es der Bundestag jetzt beschließen soll – sinnvoll ist, war strittig. Müller-Neuhof wies darauf hin, dass im Bundesjustizministerium eine Expertenkommission an Vorschlägen zum Sexualstrafrecht arbeite. Im Herbst soll der Kommissionsbericht vorliegen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber den Bericht nicht abwartet. Jochmann kritisierte, dass das Gesetz keine positiven Auswirkungen haben werde. Mehr Verurteilungen seien nicht zu erwarten. Es sei kein gutes Signal, dass Menschen einerseits ständig mit einer sexualisierten Umwelt konfrontiert werden, zum Beispiel durch die Verfügbarkeit von Pornographie im Internet. Auf der anderen Seite werden zwischenmenschliche Beziehungen in einen zunehmend engeren gesetzlichen Rahmen eingepasst. Wawzyniak teilte die Kritik an dem Verfahren. Plötzlich könne es der Bundesregierung mit der Verabschiedung des Gesetzes nicht schnell genug gehen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe ihre Meinung um 180 Grad geändert. Die „Nein heißt Nein“ Regelung begrüße sie ausdrücklich. Das gelte aber für andere Bestandteile des Gesetzesentwurfes nicht. So sei zum Beispiel vorgesehen, dass sich bei einer sogenannten „Gruppenstraftat“ alle Mitglieder einer Gruppe strafbar machen, wenn aus der Gruppe heraus ein sexueller Übergriff erfolge. Das sei absurd.

Richterrecht

Noch in den 60er-Jahren haben Richter am Bundesgerichtshof Urteile gefällt, die einem heute die Haare zu Berge stehen lassen, erklärte Müller-Neuhof. Das habe sich aber deutlich verbessert, Rechtsprechung entwickle sich und nehme Veränderungen auf, ergänzte Jochmann. Es sei Aufgabe der Richter, die Gesetze anzuwenden. Dabei könne es vorkommen, dass etwas zwar von der Gesellschaft als moralisch verwerflich angesehen werde, aber nicht strafbar sei. Wenn zum Beispiel ein Auftraggeber einer schwarz beschäftigten Putzfrau mit einer Anzeige drohen würde, um sie zu sexuellen Handlungen zu nötigen, sei das nach geltendem Recht nicht strafbar. Wawzyniak fügte hinzu, dass sich dieses mit dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ ändern würde, wenn die Betroffene nein sagen würde.

Anzeigen und Verfahren

Dieses Beispiel führte zum Kern der Debatte. Auch wenn das Verhalten nach neuem Recht strafbar ist, ist eine Verurteilung unwahrscheinlich. Aussage steht gegen Aussage. Viele Beschuldigungen zielen auf Delikte in Zweierkonstellationen. Damit ist die Rechtsfindung schwer. Jochmann erläuterte, dass viele Verfahren zwei bis drei Jahre dauern würden. Die Justiz sei überlastet. Das sei auch für die Beschuldigten eine erhebliche Belastung, weil in vielen Fällten ein normales Leben nicht mehr möglich sei. Für Täter sei es eine zusätzliche Strafe.
Aus dem Publikum kam der Einwand, dass viele Opfer keine Anzeige stellen würden, weil ihre Einschätzung ist, dass ein erfolgreiches Verfahren gegen die Täter unwahrscheinlich ist. Dafür sind die persönlichen Belastungen – zum Beispiel durch die erforderlichen Aussagen – schwerwiegend. Das wurde von Wawzyniak bestätigt. Hierzu lägen auch Zahlen vor.

Strittig war, ob es mit dem neuen Recht auch mehr Verurteilungen gegen würde. Wawzyniak geht nicht davon aus. Das hätten auch die Experten in der Bundestagsanhörung bestätigt. Die anderen Diskussionsteilnehmer teilten diese Einschätzung nicht. Christopher Hauss warnte vor einer Absenkung der Ermittlungsschwelle in Folge des neuen Rechts. Das sei eine katastrophale Entwicklung. Auch Jochmann sieht für Falschanzeigen Tür und Tor geöffnet. Müller-Neuhof rechnet mit mehr Verfahren, alleine auf Grund der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Lösung Strafrecht?

Einigkeit herrschte, dass mit dem Strafrecht nicht alle Probleme gelöst werden können. Darum sei es auch möglich, dass das Gesetz aus diesem Grund Enttäuschung verursachen werde. Viele Bürger und sogar ein Teil der Politiker hätten vom Strafrecht komplett falsche Vorstellungen, kritisierte Müller-Neuhof. Jochmann wies darauf, dass die Polizei bereits heute mit Ermittlungsarbeit überlastet sei. Darum müsse immer genau geprüft werden, ob ein neues Gesetz wirklich Sinn mache. Wawzyniak forderte, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit Sexismus ändern müsse. Dabei sei die Gesetzesinitiative sicher ein Baustein. Die Einstellung der Gesellschaft könne aber nicht mit dem Strafrecht geändert werden.
Matthias Bannas und Manuela Stamm

Impressionen der Veranstaltung / alle Fotos von Andrea Tschammer

 

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