Einige politische Entscheidungen der jüngsten Zeit machen deutlich, dass die Macht der jüngeren Generationen begrenzt ist. Beispiele sind das letzte Rentenpaket der Bundesregierung oder der Brexit. Wie die Jungen mehr Zugriff auf die Politik bekommen können, diskutierten Wolfgang Gründinger, Sprecher der Stiftung Generationengerechtigkeit und Autor mehrerer Bücher zum Thema (u.a. „Alte Säcke Politik“), mit Marcus Weinberg, familienpolitischer Sprecher und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und dem Publikum. Irene Waltz-Oppertshäuser hat die Veranstaltung moderiert.
Nur wer mitmacht, kann mitbestimmen
Bei vielen Wahlentscheidungen ist der Anteil der älteren Wähler deutlich größer als der Anteil der jungen Wähler. Die Alten sind in der Mehrheit. Darum haben die Jungen keine Chance, sich bei gegensätzlichen Interessen durchzusetzen. Diese strukturelle Mehrheit werde auch immer wieder genutzt, erklärte Gründinger. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn alle Jungen zur Wahl gingen.
Widerspruch regte sich im Publikum: Die Wahlbeteiligung der Älteren war bei den letzten Bundestagswahlen deutlich höher als die der unter 30jährigen. „Politik lebt doch vom Mitmachen“, so eine Teilnehmerin. „Nur wer sich einmischt, kann mitbestimmen.“ Als Beispiel wurde die Aktion „Ring your Granny“ („Ruf deine Großmutter an“) aus Irland genannt, wo junge Leute gezielt ihre älteren Verwandten von ihren Interessen überzeugten und damit auch deren Wahlverhalten beeinflussen konnten.
Alt und Jung oder arm und reich?
Die politische Macht sei aber nicht nur zwischen Jung und Alt ungleich verteilt, sondern auch zwischen den sozialen Schichten. Abiturienten gehen zum Beispiel genauso häufig zu Wahl wie Senioren. Eine mögliche Begründung sei der mangelhafte Stellenwert von Politik in Haupt- und Realschulen. Weinberg teilte diese Einschätzung. Er hat sowohl an einem humanistischen Gymnasium als auch an einer Haupt- und Realschule in Hamburg-Wilhelmsburg unterrichtet. „Wenn mich Schüler von meiner ehemaligen Schule im Bundestag besuchen, dann wird schon deutlich, wie weit die Politik von deren Lebenswirklichkeit entfernt ist. Da müssen wir mit der Bildung ran. Besonders deutlich zeige sich der unterschiedliche politische Einfluss, wenn Instrumente der Bürgerbeteiligung zum Einsatz kämen, so Weinberg. In bessergestellten Stadtteilen werden unangenehme Bauprojekte erfolgreich abgewehrt. Das führe dazu, dass da gebaut werde, wo die Bürger sich nicht wehren können. Schlechte Rahmenbedingungen werden damit weiter verschärft. Das sei übrigens ein wichtiges Argument für die repräsentative Demokratie.
Politisierung = Geschichte erzählen und erleben
Politik und Geschichte ist mehr als das Erlernen von Daten und Fakten, erklärte Gründinger. Hier könne Schule deutlich besser werden. Tobias Schwarz schilderte sehr eindringlich seine persönlichen Erfahrungen und Gefühle beim Besuch einer NS-Gedenkstätte in Weißrussland. Mit einer emotionalen Ansprache sei es möglich, Jugendliche für Politik zu interessieren. Weinberg stimmte dem zu. Als Lehrer habe er die Erfahrung gemacht, dass die Schüler, nachdem er einen Film über den Alltag in Konzentrationslagern gezeigt hat, darauf gedrängt haben, das Thema in den nächsten Stunden weiter zu behandeln. Aktuell habe er aber das Gefühl, dass große Teile der Öffentlichkeit den Kriegsverbrechen, die in Aleppo vor unseren Augen passieren, mit großer Gleichgültigkeit gegenüberstehen. Auf der anderen Seite engagieren sich so viele Bürger wie nie zu vor für Kriegsflüchtlinge aus Syrien.
Politische Bildung
Eine Teilnehmerin wies auf das Projekt laut! der Stadt Nürnberg hin. Hier haben Jugendliche die Möglichkeit selber kommunalpolitische Projekte auf den Weg zu bringen, verbunden mit Kursen zur Erstellung von Videos und anderen Medieninhalten. Das Projekt sei zwar erfolgreich, aber dennoch beteiligen sich nur wenig Jugendliche. Gründinger lobte TV-Formate wie „Sido geht wählen“ oder die „TV total Bundestagswahl 2013″. Das sei erfolgreicher als das Verschenken von Büchern an Abiturienten und Studenten durch die Bundeszentrale für politische Bildung.
Wahlrecht mit 16
Während Gründinger ein Wahlrecht mit 16 oder auch bereits früher einforderte, sprach sich Weinberg dagegen aus. Gegen eine Absenkung des Wahlalters sprechen formale Gründe, zum Beispiel die Frage nach der Geschäftsfähigkeit, die dann ja auch früher eingeräumt werden müsse. June Tomiak (mit 19 jüngste Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus für Bündnis 90 / Die Grünen) wies darauf hin, dass die Parteien jungen Mitgliedern auch eine Chance geben müssten. Das hätten die Grünen in Berlin in ihrem Fall getan. Eine Absenkung des Wahlalters würde sich positiv für die Parteien auswirken.
Engagement – warum und warum nicht?
Politisches Engagement ist ganz schön anstrengend und auch oft nervtötend, erklärte Ann Cathrin Riedel, die seit einem Jahr Mitglied bei der FDP Friedrichshain-Kreuzberg ist. Dennoch empfiehlt sie, sich in Parteien zu engagieren, weil es möglich ist, etwas zu bewegen und zu verändern. Um Engagement zu erleichtern, würden sie in Friedrichshain-Kreuzberg Sitzungen streng zeitlich begrenzen, längere Sitzungen aufs Wochenende legen und eine Kinderbetreuung organisieren. Ein interessanter Vorschlag kam aus dem Publikum. Um Menschen, die sich engagieren, nicht zu überlasten, sei es möglich, Aufgabenbereiche von Ämtern zu verkleinern oder Ämter zu teilen.
Jugend-Check
Jugendliche stoßen aber auch auf viele grundsätzliche Hürden, wenn sie sich engagieren. Das fängt an bei zu wenig Zutrauen an und endet bei mangelhafter Ausstattung und zu geringen Ressourcen, beklagte ein Teilnehmer. Eine aktuelle Initiative, um die Interessen von Jugendlichen besser zu berücksichtigen, ist der Jugend-Check zur Überprüfung von Gesetzen. Dieser dürfe aber kein zahnloser Tiger sein, forderte Gründinger.
Schlusswort
Ein Teilnehmer plädierte für ein besseres Miteinander der Generationen. Er nutze die Gelegenheit, sich regelmäßig mit seinem Großvater über Politik auszutauschen.
„Einer allein kann wenig bewirken“, so Gründinger. „Tut Euch zusammen – gemeinsam wird daraus eine Bewegung“. Auch Weinberg appellierte, sich Gehör zu verschaffen: „Wir brauchen den Ungestüm, ja auch manchmal die Verrücktheit der Jugend, um Dinge zu verändern.“
Matthias Bannas und Irene Waltz-Oppertshäuser
Impressionen der Veranstaltung