Am 24. September findet die Bundestagswahl statt. Mit der Nominierung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat der SPD ist eine rotrotgrüne Bundesregierung #r2g nicht länger unmöglich. Über den anstehenden Wahlkampf und die Wahrnehmung von Politik und Medien diskutierte Angela Marquardt, Geschäftsführerin der SPD-Denkfabrik, mit Dr. Viola Neu, Teamleiterin des Teams Empirische Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung und Matthias Meisner, Politikredakteur beim Tagesspiegel. Martina Rozok hat den Berliner Pub Talk am 7. Februar moderiert.
Schulz und #r2g?
Mit der Aufstellung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat der SPD hat die Partei in den Prognosen einen kräftigen Sprung nach oben gemacht. Marquardt erklärte, dass r2g damit auf eine rechnerische Mehrheit zusteuere. Das tue der SPD gut, „bin froh, dass wir ein bisschen Wind haben“, so Marquardt. „Rechnerische Mehrheiten seien noch keine Mehrheiten des Handelns“, da gehe es um die Inhalte: Rente, Flüchtlinge, Politikverdruss. Sie hoffe auf einen echten Politikwechsel. Über konkrete rotrotgrüne Politik auf Bundesebene werde bereits heute kontinuierlich zwischen den beteiligten Parteien diskutiert. Auf Landesebene hätte sich das in Thüringen bewährt. Die Berliner Koalition sei schlecht vorbereitet gewesen.
Neu machte deutlich, dass es diesen Hype – wie bei der Schulz-Nominierung – bei jeder Festlegung einer Partei auf einen Kandidaten gebe. Es handele sich um einen normalen Effekt, der immer eintritt, wenn Parteien eine Entscheidung treffen. Dann wissen die Wähler, wer überhaupt zur Wahl steht. Auch eine Kandidatur von Gabriel hätte die Zahlen der SPD nach oben getrieben. Der Kandidat müsse mit den Inhalten zusammenpassen. „Kann Schulz Politik machen? Oder muss er eine Politik machen, die nicht die seine ist“, so Neu. Entscheidend seien am Ende: Haltung, Emotionen und Vertrauen.
Meisner wies darauf hin, wie wichtig es sei, dass jetzt auch eine Machtoption für die SPD und r2g ins Spiel komme. Er teilte die Auffassung, dass es auf die Themen ankommt. Bei vielen Themen sind die Unterschiede nicht so groß. Es wäre zum Beispiel interessant zu erfahren, ob Schulz die Position von Fraktionschef Oppermann zur Errichtung von Flüchtlingslagern in Libyen teilt. Sollte r2g rechnerisch möglich sein, werden sich bei den Themen auch Kompromisse finden.
Wertschätzung für Politik
Neu forderte mehr Respekt für Politiker. Es ist sehr leicht, über Politiker herzuziehen. Dabei sei der Job mörderisch. Politiker stehen immer in der Öffentlichkeit und machen – wie alle anderen Menschen – permanent Fehler. Marquardt ergänzte, dass sie den Frust über Politik schon verstehen könne. Es gebe aber zahlreiche Versuche, Demokratie und parlamentarische Strukturen zu delegitimieren. Für das Bashing von Politikern habe sie überhaupt kein Verständnis. Darum sei es so wichtig, über Politik zu diskutieren und dies nicht nur anhand von Großstadtproblemen. Meisner stimmte dem zu. Es sei notwendig, Politik besser zu erklären, auch über mehr öffentliche Debatten.
Misstrauen in Medien und Wissenschaft
Das Misstrauen gegenüber den Medien nehme bei Teilen der Gesellschaft zu, so Meisner. Dabei geben sich die Journalisten sehr große Mühe, aber es passieren natürlich auch Fehler. Eine linke Gegenöffentlichkeit in eigenen Medien verliere an Relevanz. Vielmehr nehme die Bedeutung von Medien zu, die mehr oder weniger offen mit der AfD sympathisieren. Hierzu zählen zum Beispiel die Junge Freiheit, das Compact-Magazin, die Blogs Achse des Guten und Tichys Einblick. Hinzu käme, dass die AfD systematisch einzelnen Medien und Journalisten vom Zugang zu Informationen abschneide. Er komme nicht auf den Presseverteiler der Partei. Um das zu unterlaufen, müssen Journalisten stärker investigativ arbeiten.
Analog zu dem Phänomen, das überprüfte Fakten von einzelnen Medien und Politikern nicht mehr als wahr anerkannt werden, gelte das auch für wissenschaftliche Erkenntnisse, erklärte Neu. So streite beispielsweise der neue amerikanische Präsident Trump den Klimawandel ab.
Matthias Bannas und Martina Rozok