Nach Terroranschlägen werden oft schärfere Gesetze zur inneren Sicherheit gefordert. Wie die Innere Sicherheit in Deutschland verbessert werden kann, diskutierten Dr. Konstantin von Notz MdB, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und André Schulz, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), beim Berliner Pub Talk am 21. März. Moderiert hat Manuela Stamm.
Videoüberwachung und Vorratsdatenspeicherung – Sicherheit ist scheinbar nur zu haben, wenn Polizei und Sicherheitsbehörden mehr Zugriff auf die Daten der Bürger erhalten. Diesen Eindruck vermittelt zumindest so manche öffentliche Debatte. Dabei ist mehr Sicherheit auch mit anderen Bausteinen machbar: mehr Geld für die Polizei und die Sicherheitsbehörden, eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern beziehungsweise Polizei und Geheimdiensten oder strengere Regeln für Gefährder, von der elektronischen Fußfessel bis zur Abschiebung.
Sicherheit oder Freiheit?
Sicherheit und Freiheit stehen vielleicht überhaupt nicht im Widerspruch zueinander? „Rechtsstaaten sind besonders sicher, darum kann Sicherheit nicht gegen Freiheit aufgerechnet werden. Wir leben in einem der sichersten Länder dieser Welt, auch wenn zum Beispiel jeder Zweite – laut Statistik – einmal Opfer eines Wohnungseinbruchs wird“, erklärte Schulz. Das größte Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden, bestehe im eigenen Haushalt. Die meisten Täter kommen aus der Familie oder dem Freundes- und Bekanntenkreis der Opfer, erläuterte Schulz. Darum sei es wichtig abzuwägen, welche Sicherheitsgesetze mit der Freiheit vereinbar seien und wie diese angemessen von der Polizei angewendet werden können. Von Notz stimmte dem zu und verwies auf Frankreich, wo der Notstand nach den Terroranschlägen mittlerweile Normalität ist. Dennoch sei es in Frankreich nicht sicherer als in anderen Ländern. Nach Anschlägen kommen immer wieder Forderungen nach schärferen Gesetzen hoch. Genau das wollen die Terroristen aber erreichen. Sie wollen den Staat „maximal“ zu Überreaktionen und damit einer gesellschaftlichen Spaltung provozieren. Wichtig seien effektive Instrumente, welche die Freiheit der Bürger nicht in Frage stellen. „Der Rechtsstaat muss so stark sein, dass seine Institutionen selbst einen Alexander Gauland als Innenminister aushalten würden“, so von Notz. So ernst man die Gefahr salafistischer Gewalt auch nehmen müsste, um ihr mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen – die Eskalationsrhetorik einiger Law-and-Order-Verfechter und ihr symbolpolitischer Aktionismus mache dieses Land keinen Deut sicherer, ganz im Gegenteil. Angesichts der teils völlig unverhältnismäßigen Reaktionen, wünsche er sich mitunter mehr standhafte wie besonnene Staatsräson im Sinne Helmut Schmidts.. „Wir lassen uns unsere Gesellschaft von diesen Leuten nicht kaputtmachen“, erklärte von Notz.
IT-Sicherheit und Vorratsdatenspeicherung
Die Bedeutung der IT-Sicherheit und der Strafverfolgung im Internet nimmt zu, da waren sich von Notz und Schulz einig. „Es gibt kaum noch Straftaten, bei der das Internet keine Rolle spielt“, erklärte Schulz. Bei der Vorratsdatenspeicherung verwies von Notz auf das Beispiel Frankreich, wo damit auch keine Anschläge verhindert worden seien. In Deutschland sei das Problem der Mangel an Personal. „Die Keller und Asservatenkammern stehen voll mit nichtausgewerteten Festplatten und Computern. Wir haben genug Daten“, so von Notz. Schulz verwies auf die komplizierte Handhabung der bestehenden Gesetze. Die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gingen an der Praxis vorbei.
Zusammenarbeit der Behörden und Föderalismus
Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern hat in letzter Zeit viel Kritik auf sich gezogen. Insbesondere auf Grund des Umgangs mit dem Breitscheidt-Platz-Attentäter Amri. „Es ist skandalös, dass wir trotz triftiger Hinweise und erheblicher Erklärungslücken immer noch noch nicht genau wissen, was falsch gelaufen ist, weil die Große Koalition hier die parlamentarische Aufklärung blockiert“, kritisierte von Notz. Schulz machte deutlich, dass bei 16 Ländern mit unterschiedlichen IT-Systemen die Probleme bei der Zusammenarbeit nicht verwunderlich seien. Es werde oft nicht effektiv miteinander kommuniziert. Es komme vor, dass Kollegen aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen für die Ermittlungen beim Wohnungseinbruch mit einem Laptop unter dem Arm nach Hamburg fahren müssen, um dort in einer Sonderkommission als Verbindungsbeamte zu fungieren, damit man in die Daten des jeweils anderen Bundeslandes schauen kann. Wenn es gelänge, ein einheitliches System unter Federführung des BKA aufzubauen, wäre das ein Riesenfortschritt. Von Notz teilte die Kritik an der mangelhaften Zusammenarbeit der Behörden. Es mache aber keinen Sinn, übereilt für eine Reform zu kämpfen, die in unserem föderalen System keine Aussicht auf Erfolg habe. Viel wichtiger sei es, die Zusammenarbeit in klaren und rechtsstaatlichen Verfahren effektiv zu stärken.
Mitarbeiter für die Polizei
Einigkeit herrschte bei der Einschätzung der Personalausstattung. Hier seien dringend Verbesserungen notwendig. „Wir brauchen eine technisch und personell gut ausgestattete Polizei“, forderte von Notz in Anbetracht von 3,5 Millionen nicht abgebauter Überstunden. Ein Problem ist das Angebot auf dem Arbeitsmarkt. „Die Polizei bekommt oft nicht die Leute, die sie will. Wir kämpfen alle um immer weniger geeignetes Personal“, so Schulz. Das gelte insbesondere für die Mitarbeiter in der IT.
Private Sicherheitsdienste
Dr. Harald Olschok, Bundesgeschäftsführer vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) wies darauf hin, dass an der Verbesserung der Sicherheit in Deutschland auch die private Sicherheitswirtschaft einen wichtigen Anteil habe. Die Privaten übernehmen viele wichtige Aufgaben. Bei einigen Aufgaben – zum Beispiel der Begleitung von Schwertransporten – sei es nicht nachvollziehbar, dass diese von der Polizei erfüllt werden. Schulz stimmt der Einschätzung hinsichtlich der Begleitung von Schwertransporten zu. Die Privaten seien ein wichtiger Baustein der Sicherheitsarchitektur. Sie sind Partner. Von Notz antwortete, dass man hoheitliche Aufgaben nicht privatisieren solle. Eine Aufgabenkritik und modernisierte Abläufe seien jedoch erforderlich und im eigenen Interesse der Betroffenen. Er wundere sich, dass es hingenommen werde, dass die öffentliche Hand die Sicherheitskosten im Rahmen der Profifußballspiele in diesem großen Umfang trage, obwohl dahinter ein milliardenschweres Geschäftsmodell stecke.
Matthias Bannas und Manuela Stamm