Das Thema Nudging ist spätestens mit dem Bestseller „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ von Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein in Deutschland angekommen. Am 28. Januar haben Dr. Jana Diels, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ConPolicy (Institut für Verbraucherpolitik) und Linda Teuteberg, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP und stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Brandenburg, hierzu beim Berliner Pub Talk mit dem Publikum diskutiert. Moderiert hat Pascal Heymann.

 

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Berliner Pub Talk zum Thema Nudging – mit Linda Teuteberg (FDP), Moderator Pascal Heymann und Dr. Jana Diels (ConPolicy) – von links, Foto Matthias Bannas

Bessere Information

Wenn Verbraucher bessere Informationen erhalten, fällt es ihnen leichter gute Entscheidungen zu treffen. Diels wies auf Erhebungen der Europäischen Kommission hin, in denen 26% der Befragten angaben, Datenschutzerklärungen nie zu lesen und 55% aussagten, diese nur teilweise zu lesen (Europäische Kommission, „Special Eurobarometer 431, Data Protection“, 2015, S. 85 und 89). Die meisten Verbraucher würden einfach auf den Bestätigungsbutton klicken. In Piktogrammen oder Icons wären diese Inhalte viel verständlicher darstellbar. Verbraucher könnten dann informierter entscheiden, ob sie ein Programm oder eine App entsprechend nutzen wollten oder nicht. Ähnlich verhalte es sich beim Kauf von weißer Ware, etwa Kühlschränken oder Waschmaschinen. Studien aus Großbritannien hatten in diesem Zusammenhang gezeigt, dass die Angabe der lebenslangen Betriebskosten Verbraucher dabei unterstützen kann, ressourcenschonendere Geräte zu kaufen. Diels und Teuteberg waren sich einig, dass es in der Regel unproblematisch sei, wenn es nur darum geht, Verbraucher besser zu informieren.

 Änderung von Verhalten durch andere Voreinstellungen

Allerdings setzt nur ein Teil der Nudges auf bessere Information. Oft ist das Ziel, den Verbraucher zu einer Verhaltensänderung durch eine Veränderung der Voreinstellung zu bewegen. Diels wies darauf hin, dass für jeden dieser Nudges vorab eine politische Entscheidung über das Ziel erforderlich sei. Dann sei der Einsatz eines Nudges eben nur eine mögliche Maßnahme, um dieses politische Ziel zu erreichen.

Diskutiert wurde über die Beispiele Altersvorsorge, Organspende und alternative Energieversorgung. Zurzeit ist es so, dass sich Menschen in Deutschland aktiv dafür entscheiden müssen, zusätzlich für das Alter vorzusorgen, Organspender zu werden oder alternative Energien zu beziehen. Es wäre aber auch mit einem Nudge möglich, die Anzahl der Bürger zu steigern, die für Alter vorsorgt, die Organspender werden oder alternative Energie beziehen. Voraussetzung dafür ist eine politische Mehrheit. In der Praxis würde eine Änderung der Voreinstellung bedeuten, dass sich die Bürger dann dagegen entscheiden müssten, falls sie Altersvorsorge, Organspende oder alternative Energie nicht wollen.

Manipulation mit Nudging?

Diels erläuterte, dass in diesen Fällen auch die aktuelle Situation einer Voreinstellung entspräche; eben keine Altersvorsorge, keine Organspende, keine alternativen Energie. Menschen würden oft dazu tendieren, Voreinstellungen nicht zu verändern. Ein guter Nudge baue keine Hürden auf, wenn die Menschen mit der Voreinstellung nicht einverstanden sind und sich zum Beispiel gegen eine Organspende entscheiden.

Teuteberg kritisierte das hinter einer weitreichenden Befürwortung von Nudging stehende, paternalistische und technizistische Menschenbild. Das sei insbesondere problematisch, wenn ein hoher gesellschaftlicher Druck zu konformem Verhalten vorhanden ist. Bei ethischen Fragen wie der Organspende sei das der Fall. Bei der Altersvorsorge sei es gar nicht klar, ob das für alle Bürger die sinnvollste Entscheidung ist. Oft werde eher die Berufsunfähigkeit als Risiko benannt, das zuerst versichert werden sollte. Politische Entscheider seien nicht allwissend. Darum sei es aus ihrer Sicht in jedem Einzelfall kritisch zu hinterfragen, wenn Instrumente wie Nudging zum Einsatz kämen. Diese ermöglichen es, viel mehr Lebensbereiche zu regulieren, als das heute der Fall ist. Die Liberalen seien für sparsame Regulierung. Eine Analogie zu Voreinstellungen im Rahmen von Nudges bedeute eine Beweislastumkehr in der Gesetzgebung, auch hier sei sie skeptisch. Im freiheitlichen Rechtsstaat stünden die Grundrechte gerade nicht unter dem Vorbehalt, dass der einzelne Bürger im Sinne der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung vernünftig oder effizient handle. Gerade die Betonung dessen, dass ja noch eine Wahlmöglichkeit bestehe z.B. bei einer Widerspruchslösung in Fragen der Organspende zeige, dass Nudging die Tendenz innewohnt, höchstpersönliche Entscheidungen als Verfügungsmasse politischer Steuerung zu sehen und Bürger für legitimen Grundrechtsgebrauch unter Rechtfertigungsdruck zu setzen. Diels und weitere Teilnehmerinnen erklärten, dass Nudges für Bürger transparent seien. Nur dann würden sie auch Akzeptanz finden. Dazu leiste auch der politische Prozess einen wichtigen Beitrag. Keine Maßnahme werde von heute auf morgen ohne öffentliche Diskussion durchgeführt.

Mündiger Bürger / Verbraucher?

Niemand ist Experte für alles. Dennoch treffen Bürger ständig Entscheidungen. Nun kann der Staat entweder Entscheidungsprozesse – zum Beispiel mit Gesetzen oder Nudges – umgestalten, mit dem Ziel die Bürger zu befähigen, bessere Entscheidungen zu treffen. Alternativ kann er die Entscheidungsfähigkeit der Bürger durch bessere Bildung fördern und sich darauf beschränken, nur dort einzugreifen, wo es wirklich erforderlich ist. Welcher der beiden Wege am Ende eingeschlagen wird oder ob es einen Mix aus beiden Wegen gibt, ist eine politische Entscheidung.

Matthias Bannas und Pascal Heymann

Impressionen der Veranstaltung / alle Fotos von Matthias Bannas

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